Science Slang – muss das sein?

Die Wissenschaft insgesamt ist schwer zu verstehen. Aber muss das so sein?

Einerseits, stecken komplizierte Theorien und komplizierte Experimente dahinter, die man eben nicht mal einfach so in den Schädel bekommt. Die Wissenschaftler arbeiten jahrelang an einem oft winzigen Teilaspekt eines (auf die unendlichen Möglichkeiten der Wissenschaft bezogen) kleinen Fachbereiches. Sie sind Spezialisten auf ihrem Gebiet. Wäre schon komisch, wenn jeder sofort verstünde, was sie sich nach und nach erarbeitet haben.

Andererseits ist die Sprache in wissenschaftlichen Publikationen sehr speziell. Teils bleiben die Forscher bewusst vage: „könnte“, „deutet darauf hin“ und „potentiell“ sind häufig genutzte Worte. Eindeutige, überzeugte Aussagen? Fehlanzeige. Dann wiederum ist die Formulierung extrem präzise, so dass kleinste Veränderungen des Wortlautes auch den Inhalt verändern. Da geht es nicht um „Nervenzellen in der Amygdala“ (eine Gehirnregion, meine Lieblingsregion, wie manche vielleicht schon mitbekommen haben), sondern um „GABAerge Interneuronen im zentralen Nukleus der Amygdala“. Das ist noch ein relativ harmloses Beispiel, bei dem man leicht erkennen kann, dass die Details wichtig sind. Darüber hinaus gibt es oft schon einzelne Wörter, über die sich Wissenschaftler aus einem Forschungsbereich streiten. Ein Beispiel von meiner früheren Arbeit: Sucht oder Abhängigkeit? Für Laien gibt es da eigentlich keinen großen Unterschied. In der Suchtforschung bezieht sich Abhängigkeit aber nur auf den körperlichen Teil, wie Entzugserscheinungen. Sucht dagegen ist die Psychologie und das Verhalten. Wie trennt man das allerdings praktisch? Besonders, wenn Versuchstiere ins Spiel kommen, deren Psyche nicht so einfach verstanden werden kann. So sitzt man immer wieder vor Publikationen und (eigenen) Manuskripten und grübelt darüber, ob nun Dependence (Abhängigkeit) oder Addiction (Sucht) das richtige Wort ist. In der Auslegung der Ergebnisse kann diese – eigentlich semantische – Unterscheidung eine große Rolle spielen.

Gerade diese feinen Unterschiede fallen aber nicht unbedingt auf, wenn man die Publikationen als Mensch liest, der nicht auf das Themengebiet spezialisiert ist. Auch für Journalisten ist es schwer, viele dieser Details aufzugreifen. Selbst, wenn man sie selbst versteht – wie soll man sie in einen zeichenbegrenzten Artikel packen? Die Leser sollen schließlich spannende Informationen bekommen und nicht auf Auslegungen weniger Worte herumkauen.
Leider führt gerade die Frage der Spannung oft zu reißerischen oder zumindest stark optimistischen Überschriften wie „Mögliche Therapie für Krankheit XY entdeckt“, wenn es in der beschriebenen wissenschaftlichen Publikation eigentlich um ein einziges mutiertes Gen in einem Meer von anderen mutierten Genen geht. Die Forscher warnen oft sogar vor zu großem Optimismus. In einem Interview für einen (hoffentlich demnächst veröffntlichten) Artikel betonte der Autimusforscher Dr. Woo-Yang Kim aus Nebraska mehrfach, dass zukünftige Behandlungen noch in weiter Ferne liegen, wenn Wissenschaftler bei Grundlagenforschungen mögliche Kandidatengene und potentielle Medikamente finden. Bis die klinischen Versuche geglückt sind und das Medikament zugelassen wird, vergehen Jahre, wenn es überhaupt dazu kommt. Immerhin können die Medikamente nicht nur an einer nicht ausreichend Wirksamkeit sondern auch an zu vielen Nebenwirkungen scheitern.

Um wieder auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Muss es sein, dass die Wissenschaftler ihre Veröffentlichungen derart kompliziert und gleichzeitig schwammig schreiben, dass alle anderen Menschen kaum den Kern der Sache entziffern können?

Als ich den Artikel begann, war ich mir nicht sicher, zu welchem Schluss ich kommen würde. Jetzt aber sage ich schweren Herzens: Ja, das müssen sie wohl. An den schwammigen Aussagen lässt sich deshalb nichts ändern, weil Wissenschaft eben keine absoluten Aussagen produziert. Wer glaubt, Wissenschaftler könnten mit ihren Experimenten eindeutige Antworten oder unumstößliche Wahrheiten finden, hat die Wissenschaft nicht verstanden. Zu oft werden sogar Grundsätze widerlegt, derer wir uns bis dahin vollkommen sicher waren.
Und auch die Haarspaltereien, die nur den absoluten Fachleuten überhaupt auffallen, sind notwendig. Nur so können die Forscher untereinander ihre Ergebnisse vergleichen und neue Fragen mit veränderten Perspektiven stellen.

Somit ende ich meinen Kommentar mit zwei Aufrufen:
Einmal an die Journalisten, nicht jeden kleinen Befund sofort zur weltrettenden Sensation zu erheben. Auch kleine Forschungserfolge führen letztendlich zum Ziel, sollten gewürdigt werden und sind für eine große Bandbreite von Lesern interessant. Es muss nicht immer das ultimative Heilmittel sein.
Zweitens an alle Leser, sowohl von wissenschaftlichen Publikationen als auch von journalistischen Texten: nehmt nicht alles, wie es euch präsentiert wird. Hinterfragt. Ja, es wäre die Aufgabe der Journalisten, das Hinterfragen für euch zu erledigen, und viele tun das auch. Aber gerade im Internet nehmen einige diese Aufgabe weniger ernst. Also denkt selbst mit. Dann haben auch längst widerlegte Mythen wie „Impfungen verursachen Autismus“ weniger Chancen. Dankeschön!